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Thawees Leidensweg

 

Gerade noch lebensfroh

 und plötzlich ein Schwerstpflegefall


Von Axel Ertelt, Halver 

  


 


Kapitel 1


Wie im Kreisklinikum Siegen

(Haus Hüttental in Siegen-Weidenau) 

das Leben unserer Familie zerstört wurde

 

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ✭ Wie alles begann ✭ Der Nachschlag ✭ Die falsche Entscheidung  ✭ Der erste verhängnisvolle Arztfehler ✭ Wenn Ärzte offensichtlich überfordert sind ✭ Zur Reha nach Bad Berleburg

 

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Vorwort

Lange habe ich überlegt, ob ich diese Geschichte, unsere Geschichte, die Geschichte meiner Familie, ausführlich niederschreiben und veröffentlichen soll. In einer vierseitigen Kurzfassung war sie bereits seit Dezember 2007 der Öffentlichkeit im Internet, auf der Homepage des Halveraner Pflegedienstes „In guten Händen“, zugänglich. Inzwischen etwas zur Ruhe gekommen und mehr Zeit zu Verfügung habend, fasste ich den Entschluss unsere Geschichte, eine wahre Geschichte bis ins kleinste Detail, in aller Ausführlichkeit niederzuschreiben und zu publizieren.

Mein Entschluss dazu basiert auf den folgenden, hauptsächlichen Gründen:

  • Zum einen will ich unsere eigenen Erfahrungen und Tipps weitergeben und damit anderen Menschen helfen, die vielleicht in einer ähnlichen Situation sind oder in eine solche kommen könnten. 
  • Zum anderen möchte ich aufzeigen, was im Kreisklinikum Siegen alles schiefgelaufen ist und mich heute ernsthaft an der dortigen Kompetenz zweifeln lässt.

Allein diese beiden Fakten rechtfertigen in jedem Fall die Veröffentlichung unseres Leidensweges, der insbesondere aber der Leidensweg meiner Frau ist. Eine Krankheit, genannt Schlaganfall und insbesondere aber mehrere katastrophal verlaufende ärztliche Eingriffe im Kreisklinikum Siegen haben das Leben unserer Familie für immer zerstört und uns finanziell an den Rand des Ruins gebracht.

Axel Ertelt, Halver im März 2013

 

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Wie alles begann

Meine Frau Thawee wurde am 3. September 1954 in Thailand geboren. Wir sind seit dem 11. Dezember 1987 verheiratet. Thawee war immer sehr lustig, lebensfroh und aktiv. Kaum ein Thaifest, dass wir nicht besuchten und auf dem sie nicht ausgelassen getanzt hätte. Sie war fast jeden Tag unterwegs, ob bei einem Einkaufsbummel durch die Stadt, zu Besuch bei Freunden, oder einfach nur für einen ausgiebigen Spaziergang durch die Natur.

Es war das zweite Wochenende nach Ostern, Samstagmorgen, der 10. April des Jahres 2005. Damals war ich noch als Bestatter selbständig im Familienunternehmen tätig. Kurz vor 7.00 Uhr stand ich auch an diesem Morgen, wie immer, auf. Inzwischen war es 7.40 Uhr geworden und ich wollte gerade unsere Dachgeschosswohnung verlassen, um unten, im Erdgeschoss, die Haustür aufzuschließen und im Büro und in der Ausstellung die Rollladen hochzuziehen.

Thawee lag noch im Bett und ich ging davon aus, dass sie noch gar nicht wach geworden war. Als ich die Türklinke in der Hand hielt und die Tür aufmachte, hörte ich ein merkwürdiges Poltern aus dem Schlafzimmer. Sekundenbruchteile war danach alles wieder ruhig. Doch dann fing Thawee an zu schreien.

Ich befürchtete, dass sie aus dem Bett gefallen und sich dabei verletzt haben könnte. Vielleicht ein gebrochenes Bein? Als ich die Schlafzimmertür aufriss sah ich meine Frau wie ein Häufchen Elend neben dem Bett liegen. Sie gab mir dann zu verstehen, dass sie nicht aufstehen könnte, weil sie nichts mehr in der rechten Seite spüren könne.

Noch ahnten wir nichts Schlimmes und ich dachte in diesem Moment, sie hätte sich vielleicht verlegen und ihr rechtes Bein sei „eingeschlafen“. Also zog ich sie hoch, hielt sie aufrecht und schleppte sie mit großer Mühe und Anstrengung ins Wohnzimmer auf die Couch. Dann massierte ihr rechtes Bein. Aber sie spürte immer noch nichts und konnte die ganze Seite nicht mehr bewegen.

Nun wurde mir so langsam doch unheimlich und ich bestand darauf einen Arzt zu rufen – trotz anfänglicher intensiver Proteste von Thawee. Ich schaute auf die Uhr. Es war gerade einmal kurz nach 7.50 Uhr. Welcher Arzt heute Wochenenddienst hatte war mir nicht bekannt. Also rief ich einfach die Nummer unseres Hausarztes an und dachte, der würde schon eine Bandansage geschaltet haben, wer heute Notdienst hätte.

Überraschend meldete sich aber unser Hausarzt bereits nach dem zweiten Rufton selbst. Welch unglaublicher Zufall, dass er gerade heute Dienst hatte und auch um diese Zeit schon in der Praxis war. Ich schilderte ihm die Umstände, woraufhin er recht hektisch wurde und sagte, er komme sofort zu uns. Und tatsächlich, es vergingen keine 5 Minuten bis er bei uns schellte.

Nach nur relativ kurzer Untersuchung stellte er bereits seine Verdachtsdiagnose: Schlaganfall! Diese Worte trafen uns völlig unvorbereitet und wir waren geschockt. Zuerst legte der Arzt meiner Frau eine Infusion. Dann bestellte er über die Rettungsleitstelle einen Rettungswagen, der dann etwa sieben Minuten später mit Blaulicht und Martinshorn vorgefahren kam.

Zu diesem Zeitpunkt hatte unser Hausarzt über die Leitstelle bereits auch noch einen Notarzt nachgefordert. Unterdessen trugen die Rettungssanitäter meine Frau nach unten und in den Rettungswagen. Immer noch bekam Thawee eine lebensnotwendige Infusion. Kurz darauf traf dann auch der Notarzt mit Blaulicht und Martinshorn ein.

Es erfolgte die Übergabe von Arzt zu Arzt und dann war alles für den Abtransport ins Klinikum Lüdenscheid bereit. Während der Notarzt- und der Rettungswagen von Halver aus mit Blaulicht und Martinshorn die B229 über Oeckinghausen und Brügge nach Lüdenscheid fuhren, musste ich einen Umweg über Oberbrügge fahren, da die B229 zwischen Oeckinghausen und Ostendorf für den normalen Verkehr wegen einer Großbaustelle gesperrt war.

Ich fuhr am Klinikum direkt die Einfahrt zur Notaufnahme rein und dort direkt dahinter auf den Parkplatz. An der Aufnahme angekommen musste ich zuerst noch einige Formalitäten zur Aufnahme regeln bevor ich im Wartebereich Platz nehmen und auf den behandelnden Arzt warten konnte. Nach einer halben Ewigkeit kam dann endlich jemand und holte mich ab um mich zu meiner Frau zu bringen. Die lag in einem der Behandlungszimmer auf einer Pritsche und konnte erstaunlicherweise ihre rechte Seite wieder bewegen.

Nach einiger Zeit war es dann endlich soweit und sie wurde von Pflegepersonal abgeholt und auf die Station verlegt. Hier bekam sie ihr Bett und ich konnte ihr eine Telefonkarte besorgen mit der sie anrufen und Fernsehen schauen konnte. Mit den Schwestern klärte ich dann noch einige Verpflegungsfragen, da sie ja aus Thailand stammt und nicht alles deutsche Essen mochte. So war beispielsweise Käse ein absolutes Tabu, was sie beim besten Willen nicht essen konnte.

In den folgenden Stunden verbesserte sich ihr Zustand weiter und war noch am Nachmittag desselben Tages fast wieder normal geworden. Zweieinhalb Wochen musste sie im Krankenhaus bleiben. In dieser Zeit wurden die verschiedensten Untersuchungen bei ihr gemacht, ohne dass man jedoch feststellen konnte, welche Ursache der Schlaganfall gehabt haben könnte.

Als sie zweieinhalb Wochen später entlassen wurde, hatte sie fast keine Probleme mehr – außer, dass sie in den drei rechten Fingern (Mittelfinger, Ringfinger und kleiner Finger) der rechten Hand noch nicht wieder ein richtiges Gefühl hatte. Aber dies gab sich im Laufe der kommenden Wochen auch fast vollständig wieder.

Natürlich bekam sie regelmäßig Medikamente und ärztliche Kontrollen. Alles schien wieder gut zu sein und das verbreitete unter allen Beteiligten eine optimistische Stimmung, zumal man im Krankenhaus ja auch keinerlei Ursachen hatte feststellen können.

Die folgenden gut dreieinhalb Monate verliefen vollkommen normal und wir waren schon davon überzeugt alles überstanden zu haben. Doch es sollte alles ganz anders kommen…

 

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Der Nachschlag

Dann kam jener verhängnisvolle Mittwoch, Ende August 2005, der die Schicksalswende einleiten sollte. Thawee bekam plötzlich leichte Sprachschwierigkeiten, die sich aber innerhalb weniger Minuten wieder legten. Kurz darauf kam dann auch noch ein „brennendes Prickeln“ in der ganzen rechten Körperseite. Ich konnte mich eines unguten Gefühls nicht erwehren, aber da alles praktisch nur wenige Sekunden gedauert hatte und dann alles wieder vollkommen normal war unternahmen wir erst einmal nichts, zumal die Praxis unseres Hausarztes Mittwochnachmittags auch geschlossen war.

Auf jeden Fall schwor ich mir, beim geringsten weiteren Anzeichen einer Unpässlichkeit Thawee sofort ins Krankenhaus zu bringen. Dazu kam es dann aber nicht mehr und bis zum nächsten Morgen war alles völlig normal verlaufen. Doch die Sache ließ mir keine Ruhe mehr und unter großen Protesten von Thawee brachte ich sie dann Donnerstagmorgen direkt zu unserem Hausarzt in die Praxis. Ich schilderte am Empfang den Arzthelferinnen kurz die Situation und fuhr dann nach Hause.

Kaum zu Hause angekommen bekam ich einen Anruf von meiner Frau, die ganz aufgeregt sagte, dass ich ihr ein paar Sachen zusammenpacken und nach Lüdenscheid ins Krankenhaus bringen sollte. Der Doktor habe gemeint, dass sie wohl einen leichten Schlaganfall gehabt hätte und zur Untersuchung ins Krankenhaus müsse. Der Krankenwagen sei bereits da und würde sie jetzt aus der Arztpraxis heraus nach Lüdenscheid ins Klinikum bringen.

Aber es ging ihr soweit ganz gut und alles war normal. Am Freitagnachmittag der folgenden Woche hatten die Ärzte erstmals den Verdacht, dass für die Schlaganfälle eine extreme Gefäßverengung im Kopfbereich verantwortlich wäre. Dies wollte man dann am kommenden Montagmorgen genauer untersuchen.

Da sie momentan völlig beschwerdefrei und gesund schien, durfte sie übers Wochenende nach Hause. So holte ich sie Samstagmorgen ab und brachte sie Sonntagabend gegen 18.00 Uhr zurück. Während des Wochenendes hatte es keinerlei Probleme gegeben und alles schien wieder in bester Ordnung zu sein. Wieder im Krankenhaus angekommen bekam sie auch direkt ihr Abendessen, wobei ich ihr noch Gesellschaft leistete. Danach, so gegen 18.40 Uhr wollte ich nach Hause fahren und sie wollte mich noch nach unten zum Krankenhauseingang begleiten.

Im Aufzug, auf dem Weg nach unten, passierte es dann. Sie bekam den nächsten großen Schlaganfall. Nur mit Mühe konnte ich sie auf den Beinen halten und zurück auf die Station bringen. Glücklicherweise war auch gerade ein Arzt zugegen, was man an einem Sonntagabend ja nicht zwingend erwarten kann, da dann generell nur eine Notbesetzung im Krankenhaus ist.

Sie wurde dann auch sofort in ein Überwachungszimmer verlegt und an alle möglichen Überwachungsgeräte angeschlossen. Doch nichts Auffälliges war feststellbar und die Werte schienen alle normal zu sein. Im Gegensatz dazu verschlechterte sich ihr Zustand innerhalb von wenigen Minuten ganz rapide. Extreme Sprachprobleme traten auf, so dass auch keinerlei Verständigung mit ihr mehr möglich war. Sie jammerte die ganze Zeit und konnte sich nicht mehr ausdrücken, was ihr weh tat oder wo sie Probleme hatte.

Die Ärzte bereiteten sie dann für eine CT vor. Als sie dann gegen 21.20 Uhr dazu abgeholt und nach unten gebracht wurde, fuhr ich dann nach Hause.

Am nächsten Morgen ging bereits um 6.40 Uhr das Telefon. Am anderen Ende der Leitung war Thawee. Sie rief mich selbst an und konnte wieder normal sprechen. Allerdings hatte sie keinerlei Gefühl mehr in der rechten Seite. Das blieb dann erst einmal so.

Am Montagnachmittag fuhr ich dann wieder voller Hoffnungen zu ihr ins Krankenhaus. Gegen 16.00 Uhr hatten wir dann endlich auch die Gelegenheit mit dem Arzt zu sprechen. Der bestätigte uns dann auch die inzwischen einwandfrei festgestellte Gefäßverengung im Kopf.

Früher hätte man da gar nichts machen können, erklärte er uns, aber (zum damaligen Zeitpunkt) seit eineinhalb Jahren gäbe es die Methode einen Stant zu setzen, wie das auch am Herzen gemacht würde. Dies sei in ihrem Fall sehr sinnvoll, wenn wir nicht permanent weitere Schlaganfälle und vielleicht auch Schlimmeres in Kauf nehmen wollten. Also stimmten wir einem solchen Eingriff zu, zumal ja sonst auch keine Chance auf Besserung vorhanden war.

 

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Die falsche Entscheidung

Zum damaligen Zeitpunkt gab es zwei Kliniken in Deutschland, die so etwas machen konnten und darauf spezialisiert waren. Beide Kliniken machten das gleich lange, von Anfang an und beide hatten die gleiche Erfahrung. In Anbetracht dessen, dass die eine der beiden Kliniken im Raum München war, während sich die andere nur eine knappe Autostunde entfernt in Siegen befand, war unsere Entscheidung leider vorschnell gefallen. So hatten wir uns also fatalerweise für das zum Kreisklinikum Siegen gehörende Haus Hüttental in Siegen-Weidenau entschieden – ein angeblich auf Schlaganfälle spezialisiertes Krankenhaus. Was hätte man unter diesen scheinbar idealen Voraussetzungen anders entscheiden sollen? Nein, da gab es zu diesem Zeitpunkt doch nichts mehr zu überlegen.

Zwei Tage später war der Termin zur Aufnahme im Haus Hüttental von den Lüdenscheider Ärzten vereinbart worden. Ich selbst war bei dem Telefonat zugegen, da es im Rahmen unseres Gespräches mit dem Arzt geführt wurde. Demnach war alles wie folgt geplant: mittwochs die Verlegung nach Siegen, donnerstags der Eingriff, dann zwei bis drei Tage zur Beobachtung in Siegen bleiben und dann zurück nach Lüdenscheid, wo dann praktisch umgehend mit der Reha angefangen werden sollte.

Das hörte sich doch gut an und gab uns Mut und Hoffnung. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir ja das Haus Hüttental noch nicht kennen gelernt. Anderenfalls wären wir nämlich keinesfalls mehr so guten Mutes gewesen.

Pünktlich zur Verlegung nach Siegen war ich Mittwochmorgen im Klinikum Lüdenscheid. Ein Fahrzeug des DRK transportierte Thawee als Liegendpatientin nach Siegen und ich fuhr mit eigenem PKW dem Krankentransport hinterher. Der Konvoi bestand aus dem DRK-Fahrzeug, einem Krankenwagen der Lüdenscheider Feuerwehr, der einen weiteren Patienten zum Haus Hüttental brachte und mir.

Kaum im Haus Hüttental angekommen war für den Mitpatienten, den die Feuerwehr in ihrem Krankenwagen transportiert hatte alles klar und er wurde auf eine Station gebracht, worauf die Fahrer des Krankenwagens wieder zurückfahren konnten. Währenddessen stand die Trage mit Thawee auf dem Gang in der Aufnahme und wurde von einer Ecke in die andere geschoben. Die beiden DRK-Mitarbeiter wurden langsam auch schon ganz ungeduldig. Immer wieder kam jemand neues vom Krankenhaus und warf einen Blick auf die Papiere von meiner Frau, zuckte die Schultern oder schüttelte den Kopf. Doch kleiner sagte etwas.

Stunden(!) später, die beiden DRK-Mitarbeiter hatten sich schon mehrmals lautstark bei den Klinikangestellten des Haus Hüttental beschwert, kam jemand vom Krankenhaus an und meinte, dass man derzeit fieberhaft bemüht sei ein Zimmer für Thawee zu besorgen. Wie bitte? Das war doch bereits seit Montagnachmittag klar. Und jetzt, zwei Tage später hatte man kein Zimmer für meine Frau? Was für eine Schlamperei ist das denn? Ich war stinksauer und hätte meine Frau am liebsten direkt wieder mitgenommen. Der Empfang hier war ja ganz offensichtlich alles andere als kompetent!

Von diesem Zeitpunkt an dauerte es noch mehr als eine Stunde, bis man Thawee dann endlich auf eine Station brachte und dort in einem dritten Bett auf einem Zweibettzimmer unterbrachte. Nachttisch oder gar Schrank? Fehlanzeige. Sie musste erst einmal ihre Sachen in der mitgebrachten Reisetasche lassen. Später gab es dann wenigstens noch einen Nachttisch.

Da lag sie dann nun in dem provisorischen Bett – unbeachtet von Ärzten und Pflegepersonal. Inzwischen war es später Nachmittag geworden. Und obwohl wir bereits seit dem frühen Vormittag in Siegen waren hatte man ihr noch nichts zu essen gebracht. Und selbst ich hatte noch keine Gelegenheit gefunden irgendwo etwas zu essen oder Thawee gar etwas zu besorgen. Mich schickte man von Hinz zu Kunz (anders kann man es auch nicht nennen!) um irgendwelche Aufnahmeangaben zu machen.

Schließlich war es draußen schon dunkel geworden und die anderen bekamen ihr Abendessen. Für Thawee war natürlich nichts da, da man sie ja auch gar nicht stationär registriert hatte. – Also immer noch nicht, obwohl ich schon längst alle Aufnahmerituale erledigt hatte. Jetzt hatte ich von diesem Krankenhaus bereits endgültig die Schnauze voll und beschwerte mich sichtlich ungehalten im Dienstzimmer. Und siehe da, endlich bewegte man sich mal und die Schwestern brachten ihr von ihren eigenen Vorräten etwas. In Anbetracht der weiteren Erfahrungen, die wir in diesem Katastrophenhaus noch machen sollten, ein wahres Wunder…

 

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Der erste verhängnisvolle Arztfehler

Nachdem man uns am Abend noch die üblichen Sprüche über Operationen mitgeteilt hatte, war dann doch endlich der Termin für den kommenden Vormittag gemacht worden. Ursprünglich sollte sie den ersten Termin, gleich morgens früh, bekommen. Doch dann wurde jemand anderes mit dem gleichen Eingriff vorgezogen. Eine vernünftige Erklärung dazu gab es nicht. Aber vielleicht hatte der Patient… Na ja, lassen wir das spekulieren mal sein. Aber angesichts der im Haus Hüttental noch folgenden katastrophalen Umstände und Ereignisse können einem da schon so alle möglichen negativen Gedanken kommen…

Es war Donnerstagmittag, 12.05 Uhr, das Mittagessen stand bereits auf dem Tisch, als das Telefon ging. Nichts Böses ahnend ging ich zum Telefon und meldete mich.

„Hier ist das Kreisklinikum Siegen, Haus Hüttental. Bei dem Eingriff ist es leider zu Komplikationen gekommen. Ihre Frau liegt auf der Intensivstation und wird im künstlichen Koma gehalten. Können noch nichts sagen was wird…“ Kurz und knapp und nichts Genaues weiß man nicht. Mehr war am Telefon nicht zu erfahren.

Der Schock saß tief. Noch schnell versucht einen Happen zu essen – ging nicht – Appetit vergangen – Essen stehen lassen – ins Auto und ab nach Siegen…

14.08 Uhr standen wir, unser Sohn und ich, vor dem Eingang zur Intensivstation. Dauerte fast 10 Minuten bis eine Schwester kam.

„Bitte setzen Sie sich in den Warteraum. Die Ärzte sind gerade bei Ihrer Frau und bemühen sich um sie.“

Auf unsere Fragen, was denn nun eigentlich genau los sei nur teilnahmsloses Schulterzucken. Konnte oder wollte sie uns nichts sagen.

Die Minuten wurden zur Qual. Es dauerte fast eine Stunde, dann kam ein Assistenzarzt und teilte uns mit, dass meine Frau gerade in den OP gekommen wäre. Ihr Gehirn würde derzeit immer mehr anschwellen und medikamentös sei dies nicht in den Griff zu bekommen. Nun müsse man ihr den Schädel öffnen, um das Gehirn zu entlasten. Das sei ihre einzige Chance…

Wieso – weshalb – warum? Darauf erhielten wir bis auf den heutigen Tag keine befriedigende Antwort. Inzwischen war es schon fast 17.00 Uhr geworden. Dann kam endlich der Narkosearzt, der auch am Vormittag bei dem eigentlichen Eingriff zugegen war. Jetzt erfuhren wir erste Details. Bei dem Eingriff war es zu einer Blutung im Gehirn gekommen. Warum, das konnte (oder wollte) er nicht sagen. Daraufhin hatte Thawee einen erneuten schweren Schlaganfall bekommen, worauf wiederum das Problem mit der Anschwellung des Gehirns folgte…

Nach dem kurzen Gespräch durften wir dann endlich zu Thawee, von der wegen des dicken Kopfverbandes und der ganzen Schläuche für Infusionen, künstliche Beatmung usw. sowie der ganzen Kabel kaum etwas zu sehen war. Wir waren den Tränen nahe als wir unsere Mama und Frau in diesem erbärmlichen Zustand so dort liegen sahen.

Acht Tage wurde sie im künstlichen Koma gehalten bis man die Medikamentendosis langsam verringerte, so dass sie allmählich aufwachen konnte, was sich über drei Tage hinzog. Während dieser ganzen Zeit blieben wir im Ungewissen. Keiner der Ärzte wollte auch nur ansatzweise sagen was genau passiert war und ob sie überhaupt eine Überlebenschance hätte. Den Minen der Ärzte nach wohl eher kaum. Nicht gerade Hoffnung weckendes Verhalten der Ärzte. Der Narkosearzt war der einzige, der uns annähernd hin und wieder ein paar Andeutungen machte. Der zuvor doch so hoch gelobte Professor, der den Eingriff vorgenommen hatte, war angeblich nie da oder im OP, wenn wir dort waren. Und das war fast jeden Tag von mittags bis abends. So hat sich der Professor die ganzen Wochen in denen meine Frau dort lag verleugnen lassen und es trotz mehrmaliger Bitten um ein Gespräch nicht für nötig gehalten uns mal zu kontaktieren. Eine bodenlose Frechheit und Unverschämtheit wie wir meinen!

Drei Tage dauerte also das Aufwachen und noch einmal einen Tag bis sie dann tatsächlich erstmals wieder die Augen öffnete. Ansonsten gab es an diesem Tag noch keinerlei Reaktion. Ob sie uns registriert oder gar erkannt hatte? Wir konnten es nicht sagen. Und dann dauerte es noch ganze acht Tage, bis sie die ersten Bewegungsversuche machte – aber nur linksseitig.

Jetzt war auch die Zeit gekommen, dass sie auf eine andere Station, eine Überwachungsstation, verlegt wurde. Dort blieb sie dann noch ca. eine Woche, bis sie auf eine normale Station verlegt wurde.

Erst hier zeigte sie bei unseren Besuchen die wirklich ersten erkennbaren Reaktionen. Die Tage zuvor hatte sie uns in der Regel nur teilnahmslos angeschaut. Immer noch hatte sie die Schläuche in der Nase, durch die sie künstlich ernährt wurde.

„Sie kann nicht Schlucken!“ Das war jedes Mal die lapidare Antwort, wenn wir die Schwestern, Pfleger oder Ärzte darauf ansprachen. Auf die Frage, wann sie denn wieder Schlucken könne nur dumme Gesichter und Schulterzucken. Andeutungsweise Bemerkungen wie „kann man nicht wissen“, „vielleicht nie mehr“ usw.

Aber so Schläuche in der Nase ist doch etwas Unangenehmes, etwas Lästiges. So kam der Tag, an dem Thawee die Schläuche in der Nase endgültig leid war und sich diese selber herauszog. Das Pflegepersonal wurde ungehalten und sofort kamen die Schläuche wieder herein. Schließlich ist es ja auch ganz bequem einem hilf- und wehrlosen Patienten lieblos einen Becher Brei per Trichter in einen Schlauch zu schütten als ihn zu füttern.

Mir kam jedes Mal die Galle hoch, wenn ich dem Pflegepersonal dabei zuschauen musste. Unweigerlich musste ich den Vergleich ziehen, wo man die Gänse stopft um eine große Gänseleber zu bekommen. Das aber wird heute allgemein als Tierquälerei angesehen. Was aber war das „Stopfen“ bei meiner Frau?

Oft dauerte es nicht lange, dann hatte sich Thawee die Schläuche wieder herausgezogen. Ein sichtliches Zeichen dafür, dass ihr das „Stopfen“ unangenehm war und nicht behagte. So ging das über mehrere Tage bis man schließlich auf die Idee kam ihr eine Magensonde einsetzen zu wollen um dieses Problem zu lösen. Schließlich ist das dauernde rein-raus ja auch gefährlich. Im blinden Vertrauen auf die Ärzte, die da immer wieder betonten „sie kann nicht schlucken“, stimmte ich schließlich zu. Das war der nächste katastrophale Fehler nach der Entscheidung für den Standort Siegen, wie sich wenig später herausstellte sollte.

 

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Wenn Ärzte offensichtlich überfordert sind

Am nächsten Tag kam ich ins Krankenhaus und sie hatte die Magensonde eingesetzt bekommen. Angeblich war alles prima verlaufen und gut. – Als ich am nächsten Abend zu ihr kam ging es ihr wider Erwarten außergewöhnlich schlecht. Ihr Bauch war mit großen Tüchern abgedeckt und sie schien dort extreme Schmerzen zu haben. Ich wollte gerade einen Arzt aufsuchen, als ein solcher hereinkam. Übrigens schon wieder ein neuer, den ich noch nicht kannte. Ich glaube, in all den Wochen habe ich keinen Arzt öfters als zweimal gesehen. Die Ärzte wechselten da scheinbar so oft wie andere ihre Unterhosen wechseln.

Jetzt erfuhr ich aber wenigstens was los war: Der ganze Bauchbereich, großflächig um die eingesetzte Magensonde herum, hatte sich infiziert, so dass man ihr diese wieder hatte entfernen müssen. Jetzt lag sie da und hatte die offene, infizierte Bauchwunde – nur lose mit Salbe und Tüchern abgedeckt. Als der Arzt die Tücher anhob bekam ich wieder mal einen gewaltigen Schock – und wie es aussah der Arzt auch. Der ganze Bereich, ca. 15 bis 20 cm im Durchmesser, war fast pechschwarz. Eiter und andere Wundflüssigkeiten traten permanent aus. Beim Anblick konnte einem speiübel werden – sogar dem Arzt. Geschockt fragte ich den Arzt, was denn jetzt damit geschehen solle. So ganz beiläufig meinte er, dass die Wunde wohl schnellstens operativ gereinigt und gesäubert werden müsse…

In der Hoffnung, dass dies dann spätestens am folgenden Morgen geschehen war fuhr ich am nächsten Nachmittag wieder zu Thawee. Doch nichts, gar nichts, hatte sich geändert. Sie lag unverändert mit der offenen, lose abgedeckten Bauchwunde in ihrem Bett und schaute mich ganz verzweifelt an… Von Seiten der Ärzte hieß es dann, man müsse erst noch etwas abwarten, vielleicht würde es Morgen gemacht…

Aha, der eine Arzt sagt am Vortag es müsse schnellstens gemacht werden, der nächste sagte dann man müsse noch abwarten. Eine absolut nicht Vertrauenserweckende Inkompetenz, die sich hier überdeutlich zeigte. Wozu abwarten? Keine Antwort! Aus Morgen wurde dann auch noch übermorgen.

Da rief wieder einmal das Krankenhaus an und teilte uns mit, dass man Thawee Klinikintern in ein anderes Haus verlegt habe. Sie sei jetzt im Haus Siegen in Siegen in der Oberstadt. Das Krankenhaus gehöre aber ebenfalls zum Kreisklinikum Siegen.

Aha, warum denn dieses? Weil man im hoch gelobten Haus Hüttental in Weidenau die Wunde nicht operativ säubern und verschließen könne!

Wie bitte? Komplizierte Kopf-OPs kann man machen. Für eine solch simple Bauchwunde ist man in Weidenau fähig?

Doch im Grunde war ich froh über diese Verlegung. Ärzte und Pflegepersonal können doch schlechter als in Weidenau nirgends sein. Da gab es doch berechtigte Hoffnung auf ein besseres Umfeld und endlich einmal auf kompetente und fachgerechte Behandlung.

An diesem Nachmittag fuhr unser Sohn mit zwei Freundinnen von Thawee hin. Sie lag im „neuen“ Krankenhaus auf einer normalen Station und wartete auf ihren OP-Termin, der noch an diesem Abend stattfinden sollte. Das war freitags. Am Samstag waren wir beide, unser Sohn und ich, dort. Sie lag noch auf der Intensiv-Station. Und hier muss ich ausdrücklich erwähnen, dass das Personal dort außergewöhnlich nett und freundlich war. Ein krasser Unterschied zum Haus Hüttental in Weidenau!

Am Sonntag fuhr ich alleine hin. Sie war immer noch auf der Intensivstation. Kurz nach meinem Eintreffen kamen zwei Schwestern herein. „So, Frau Ertelt, wir wollen Sie dann noch einmal ans Fenster setzen, damit Sie mal wieder etwas anderes sehen!“

Ich war völlig perplex. Mit so etwas hätte ich niemals gerechnet – zumal nach den Aussagen und Handeln der Ärzte und des Pflegepersonals in Weidenau nicht, denn die hatten immer wieder betont, dass so etwas unmöglich und viel zu gefährlich sei. So fragte ich die Schwestern etwas zweifelnd, ob das den möglich und gut für sie sei.

„Ja, warum denn nicht. Sie kann doch nicht immer nur im Bett liegen und die Decke anstarren!“ Und dann erfuhr ich, dass sie auch schon am Vormittag für eine gute Stunde im Sessel am Fenster gesessen hatte.

Als sie dann am Fenster saß, lebte sie förmlich auf und zum ersten Mal seitdem sie in das chaotische Haus Hüttental gekommen war habe ich mal wieder ein angedeutetes Lächeln in ihrem Gesicht gesehen. Am nächsten Tag kam sie bereits auf eine normale Station. Es war die Station, wo sie auch bei der Einlieferung gewesen war.

Hier stellte sich allerdings heraus, dass ihre Tasche mit all ihren Sachen spurlos verschwunden war. Offenbar hatte sich niemand darum gekümmert, als sie zur Intensiv kam. Die Tasche mit ihren ganzen Sachen ist bis heute nicht wiederaufgetaucht und die Vermutung liegt nahe, dass sie von einem Zimmernachbarn oder Besucher geklaut wurde, zumal ja auch ein Namenschild mit voller Adresse daran gehangen hatte. Niemand wollte die Verantwortung dafür übernehmen und angeblich war keiner vom Personal, das ich im Laufe der Wochen kennen lernte an jenem Abend im Dienst. Merkwürdig, nicht wahr! Jedenfalls liegt es ja wohl eindeutig in der Verantwortung des Krankenhauses, dass die Tasche auf nimmer Wiedersehen verschwand. Aber von dort kam bis zum heutigen Tag nicht einmal eine Entschuldigung – geschweige denn ein Angebot auf Schadenersatz! Eine von zwei krassen Negativerfahrungen im Haus Siegen. Ansonsten aber verdient auch das Pflegepersonal im Haus Siegen ein dickes Lob.

Am Abend dieses ersten Tages auf der normalen Station kam dann ein Pfleger herein und hatte einen Becher Joghurt in der Hand. „So, Frau Ertelt, jetzt wollen wir mal schauen, ob Sie wirklich nicht schlucken können!“

Offenbar misstraute man hier den Ärzten und dem Personal aus Haus Hüttental. Vielleicht kannte man ja seine Pappenheimer…

Und siehe da, Thawee konnte schlucken! – Und wie! Den ganzen Becher verputzte sie in kürzester Zeit mit Heißhunger. – Innerhalb von drei Tagen(!) war sie wieder auf ganz normale Kost eingestellt!

Wie zum Henker soll ich denn das jetzt verstehen? In Weidenau hieß es immer: Sie kann nicht schlucken! Vielleicht nie wieder! Und hier konnte sie auf einmal (und quasi sofort) ganz normal schlucken und essen? So etwas passiert nicht von heute auf Morgen! Da zeigt sich doch wohl einwandfrei die Bequemlichkeit und Inkompetenz des Hüttentaler Personals, angefangen bei den Schwestern und Pflegern bis hin zu den Ärzten und Professoren!

Das war doch wohl der Beweis, dass man in Weidenau einfach zu bequem war es überhaupt zu versuchen und auszuprobieren! Um Brei in einen Trichter zu gießen benötigt man wenige Sekunden, während man schon etliche Minuten benötigt um einen Patienten zu füttern oder ihm auch nur das Essen mundgerecht zu servieren. Wer will da noch etwas anderes behaupten und sich damit unglaubwürdig machen? Nein, nein: Haus Hüttental ist mit Abstand das schlechteste Krankenhaus das ich erlebt habe, dass ich gesehen habe und von dem ich gehört habe. Es ist ein wahres Horrorhaus, in das aus meiner Familie mit Sicherheit keiner mehr kommt! 

 

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Zur Reha nach Bad Berleburg

Jedenfalls ging es ihr im Haus Siegen deutlich besser. Man kümmerte sich mehr und intensiver um die Patienten. Inzwischen war es schon der 7. November 2005 geworden. Ich war wieder einmal abends bei ihr und als ich dann nach Hause fahren wollte, wollte ich noch etwas von ihr wissen. Entweder verstand sie mich nicht ganz oder fand keine Möglichkeit mir ihre Antwort zu verstehen zu geben. Jedenfalls sagte ich zu ihr, dass sie sich über meine Frage keine Gedanken machen solle und ich gleich die Schwestern fragen wollte, wenn ich nach Hause führe…

Im Schwesternzimmer konnte man mir nicht weiterhelfen, da gerade eine neue Schicht angefangen hatte. „Am besten fragen Sie einen Arzt danach.“ Da aber keiner mehr da war fragte ich, wann den Morgen einer zu sprechen wäre. Die Schwestern schauten mich mit einem merkwürdig verständnislosen Blick an. „Wieso morgen?“„Ja, ich komme dann morgen wieder.“ – Kopfschütteln und die offensichtlich äußerst verwunderte Bemerkung „Aber sie wird doch morgenfrüh in die Reha verlegt!“

Ich war wieder einmal mehr geschockt. Hätte ich jetzt nicht (vergeblich) wegen meiner Frage nachgefragt, ich wäre am nächsten Abend gekommen und Thawee wäre gar nicht mehr da gewesen…

Es war für die Reha eigentlich alles geplant. Zusammen mit einer Ärztin hatten wir in Weidenau vereinbart, dass sie nach Hagen Ambrock in die Reha käme. Das ist immerhin zeitlich und kilometermäßig nur ein Drittel der einstündigen, gut 60 km weiten Strecke nach Siegen. „Och“, sagte ich als ich mich vom ersten Schock erholt hatte, „das ist ja prima. Nach Hagen Ambrock ist es ja nicht mehr ganz so weit!“„Wieso Hagen Ambrock? Sie kommt nach Bad Berleburg!“

Der nächste Schock, wo um alles in der Welt ist nun Bad Berleburg und wie komme ich dahin? „Wieso nach Bad Berleburg? Es war immer gesagt worden nach Hagen Ambrock!“ – Die Begründung war, dass man in Bad Berleburg die noch nicht ganz verschlossene und verheilte Bauchwunde weiter mitbehandeln könne, was man in Ambrock angeblich nicht konnte. Also: Bad Berleburg. Von uns aus bis zur dortigen Odebornklinik, wo sie dann hinkam, 104 km und zwei Stunden Fahrt, fast ausschließlich über Landstraßen durch die Dörfer. Das waren dann pro Tag, den wir sie besuchten, 208 km und 4 Stunden Autofahrt. Klar, dass dies nicht mehr (fast) jeden Tag möglich war. So fuhren wir abwechselnd alle zwei bis drei Tage.

In der Odebornklinik in Bad Berleburg lebte sie so richtig auf. Schon die Zimmer waren nett und sauber eingerichtet mit relativ neuem Inventar. Wir konnten hier auch mit ihr durchs Krankenhaus gehen, da sie ja hier auch ihren „eigenen“ Rollstuhl hatte – und in die Cafeteria zum Kaffee trinken. Draußen war es allerdings zu kalt. Schließlich hatten wir ja schon Winter.

Weihnachten durfte sie nach Hause. Wir holten sie Heiligabend am Morgen ab und brachten sie dann am 2. Weihnachten abends zurück. Ihr Gemütszustand hat sich in diesen Tagen drastisch verbessert. Schließlich hieß es Ende Januar 2006 (nach fünfmonatigem, praktisch ununterbrochenem Krankenhausaufenthalt in insgesamt 4 Kliniken): Sie kommt nach Hause (weil die Krankenkasse die Reha nicht mehr verlängern wollte). Und das obwohl die Bauchwunde von der im Haus Hüttental verpatzten Aktion mit der Magensonde immer noch nicht ganz geschlossen und verheilt war!

Kurz vor Mittag des 28. Januar 2006 war es soweit. Das Auto für den behindertengerechten Transport kam vorgefahren. Eine über alle Backen strahlende Thawee saß darin. – Endlich wieder zu Hause! War das eine Freude. Der Rest des Tages verlief gut.

Die Nacht verlief etwas unruhig, da sie zu diesem Zeitpunkt noch einen Katheder hatte und Stuhlgang gemacht hatte. Also Windeln wechseln. Am nächsten Morgen dann der nächste Schock: Sie klagte über Kopfschmerzen und der Kopf war wieder dick angeschwollen. Also wurde der Arzt gerufen, der auch sofort kam. Die Folge: Einweisung ins Klinikum Lüdenscheid – zu Hause ade…

Nach 8 Tagen kam sie dann endgültig wieder nach Hause. Die Bauchwunde war erst so gegen Ende Februar endgültig verheilt, so dass keine Wundflüssigkeit mehr austrat. Zwischendurch, im Jahr 2006, immer wieder extreme Bauchschmerzen und Bauchkrämpfe infolge der inkompetenten Magensondenaktion und ihres schlechten Stuhlganges. Fast ein Dutzend Mal musste der Arzt kommen und ihr eine Infusion geben. Zweimal musste sie deswegen als Notfall ambulant ins Krankenhaus und einmal (im Dezember 2006) für 8 Tage stationär. Seitdem geht es inzwischen besser. Doch die Narbe tut ihr zwischendurch immer wieder weh und erinnert uns immer wieder schmerzlich an das Katastrophen-Haus Hüttental in Siegen-Weidenau.

Bis Ende Februar 2006 hatten wir den Halveraner Pflegedienst „In guten Händen“ (http://www.tag-und-nachtpflege.de/) morgens, mittags und abends da, ab März 2006 dann morgens und abends und später nur noch morgens.

Ihr heutiger Zustand: Zwischendurch immer wieder mal eine kurze, depressive Phase. Freut sich aber über jeden Besuch oder Blumengruß. Ein Pflegefall, der rund um die Uhr betreut werden muss, da sie absolut nichts alleine machen kann. – Nicht alleine zur Toilette gehen, nicht alleine etwas zu essen machen, nicht alleine eine Getränkeflasche öffnen… All die kleinen alltäglichen Dinge müssen ihr angereicht werden. Sprechen kann sie nur ein paar einzelne Wörter – keine zusammenhängenden Sätze mehr. Verstehen tut sie jedoch (nach unserer Einschätzung) ziemlich alles, wenn man ruhig und langsam mit ihr spricht und keine komplizierten Sätze bildet. Und obwohl sie nichts alleine machen kann und bei allem auf Hilfe angewiesen ist, stuft sie der Medizinische Dienst unverständlicherweise nur in Pflegestufe II ein. Inzwischen (seit Frühjahr 2006) bereits zum dritten Mal. Beim zweiten Mal legten wir Widerspruch ein (mit einer 8seitigen Begründung und Rechnung über die bei ihr benötigte Pflegezeit). Da kam der Medizinische Dienst dann das dritte Mal – mit dem gleichen Resultat: Pflegestufe II. Trotzdem hielten wir den Widerspruch aufrecht. Resultat: Er wurde dem Krankenkassenausschuss erneut vorgelegt und dann von dort endgültig abgelehnt. – Nun ist bereits wieder eine lange Zeit vergangen und es wird Zeit einen erneuten Antrag zu stellen. Das Ganze ist mir nämlich absolut unverständlich, kenne ich selbst doch genügend Fälle, wo Personen in Pflegestufe III sind, die, wenn auch nur mit Rolli, aber immerhin alleine draußen herumlaufen können, selber Essen kochen und, und, und… Alles Dinge, die Thawee NICHT kann! Und für solche Personen, die auch oft in Pflegeheimen untergebracht sind, soll mehr Pflegezeit aufgewendet werden müssen als für Thawee? Das muss doch jedem logisch denkenden Menschen mit gesundem Menschenverstand aufstoßen und beweist doch, dass hier ganz offensichtlich mit zweierlei Maß (bei privater Pflege gegenüber Pflegeheimen) gemessen wird. Solche offensichtlich unhaltbaren Zustände müssen immer wieder angeprangert und endlich abgeschafft werden, denn sie verstoßen gegen das im Grundgesetz zugesicherte Gleichheitsprinzip – oder etwa nicht?

Nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, muss ich heute immer wieder sagen: Nie wieder kommt mir jemand aus unserer Familie nach Siegen ins Kreisklinikum – und ganz bestimmt nicht ins Haus Hüttental nach Siegen-Weidenau!

 

Kapitel 2



Wenn auch das letzte bisschen Lebensglück verblasst


Inhaltsverzeichnis

Die Pflege wird komplett selber gemacht ✭  Umzug zum Herpiner Weg  Der verhängnisvolle Mai 2019   Wie es danach weiterging Zur Reha nach Hagen-  Zur Intensiv- und Beatmungspflege nach Balve  Einzug in die Wohngruppe Intensivpflege St. Maien  Und dann kam auch noch Corona Der letzte Akt

 

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Die Pflege wird komplett selber gemacht

Seit Weihnachten 2010 wurde die Pflege dann komplett von mir übernommen. Dies war auch dadurch machbar, weil wir unser Beerdigungsinstitut kurz darauf, im Januar 2011, verkauft haben. Doch nach wie vor wohnten wir weiterhin in der Lohstraße im Dachgeschoss. Spaziergänge mit Thawee im Freien waren nur ganz bedingt möglich, da wir sie dazu mitsamt ihrem Rollstuhl immer zu zweit die ganzen Treppen nach unten tragen mussten und dann natürlich auch wieder zurück.

Der Tagesablauf änderte sich mit Übernahme der gesamten Pflege dann auch für mich. 7.00 Uhr aufstehen, waschen, ankleiden. Danach war Thawee an der Reihe. Toilettengang, waschen, Zähne putzen, ankleiden und in den Rollstuhl setzen. Das nahm dann immer eine gute dreiviertel Stunde mindestens in Anspruch. Danach, in der Regel so zwischen 8.30 Uhr und 9.00 Uhr, gemeinsames Frühstücken. Dazu musste Thawee natürlich alles fertiggemacht werden, da sie sich mit einer Hand (die andere war ja gelähmt) ja kein Brötchen oder Brot selber fertigmachen konnte. Nach dem Rollstuhl wurde sie dann im Wohnzimmer immer in einen Sessel gesetzt, von dem aus sie dann Fernsehen oder gemeinsame Spiele wie „Vier gewinnt“, „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Malefiz“ machen konnte.

Rund alle Stunde musste sie zur Toilette geführt werden. Das ging dann den ganzen Tag über in diesem Rhythmus. Ab 11.00 Uhr hieß es dann für mich Mittagessen machen und zwischen 12.00 Uhr und 12.30 Uhr war dann das gemeinsame Mittagessen angesagt. Nachmittags der gleiche Trott wie am Vormittag. Gegen 19.00 Uhr hieß es „bettfertigmachen“: Auskleiden, waschen, Schlafanzug anziehen und zurück ins Wohnzimmer um gemeinsam einen Film anzuschauen. Zwischen 22.00 Uhr und 22.30 Uhr, nach dem Film, erneuter Toilettengang und danach ging es dann ins Bett.


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Umzug zum Herpiner Weg

Mitte Mai 2012 änderte sich einiges recht positiv für uns. Das Haus in der Lohstraße war verkauft worden und wir hatten eine schöne Wohnung im Herpiner Weg bekommen und zogen dann dort ein. Die Wohnung war im Erdgeschoss und hatte einen Balkon, dessen rechte Seite offen war. Nur eine Stufenhöhe bis zum Erdboden. Diesen Höhenunterschied konnten wir dann mit einer Rampe versehen, so dass wir über diese mit Thawees Rollstuhl nach draußen, direkt auf die Wiese hinterm Haus, gelangten. Von dort konnten wir auch problemlos vors Haus, auf den Bürgersteig gelangen. Thawee war begeistert, konnten wir doch jetzt fast jeden Tag bei schönem Wetter spazieren gehen. So blühte sie erst einmal richtig auf und wenn die Sonne schien hieß es dann von ihr immer: „Spazieren!“

Auch ansonsten hatte sie hier so richtig Spaß. Ihr Sessel, in dem sie tagsüber immer saß, war direkt vor dem großen Wohnzimmerfenster. Sie blickte da direkt ins Grüne. Die Wiese hinterm Haus wurde umgrenzt von Büschen und hinten zusätzlich von zwei großen Bäumen. Zahlreiche Vogelarten tollten sich hier herum und Thawee hatte ihren Spaß daran. Finken, Blaumeisen, Kohlmeisen, Gimpel, Rotkehlchen, Amseln, Elstern und selbst ein Buntspecht kamen vor allem im Winter bis dicht vors Fenster zum Futter fassen.

Eine Zeitlang kamen auch schon einmal verwilderte Hauskatzen übers Grundstück geschlichen bis diese dann vom Tierheim eingefangen wurden. Eine davon, eine schwarzweiße, war so zutraulich, dass sie bis auf unseren Balkon kam und wenn die Balkontür offenstand, dann kam sie sogar bis in die Wohnung. Dann hatte Thawee wieder großen Spaß. Am meisten aber freute sie sich immer, wenn die Eichhörnchen kamen. In den Jahren 2013 bis 2015 waren die besonders oft präsent und räuberten im Winter auch gerne das Vogelfutter. Dann waren sie nur einen halben Meter vom Fenster entfernt und hingen förmlich am Vogelhäuschen oder standen auf der dünnen Sprosse eines Rosenbogens und knabberten da am aufgehängten Meisen-Kolben.

Alles in allem war dies eine schöne Zeit und es hätte noch lange so weitergehen können. Doch alles hat einmal ein Ende. Und das kam für uns dann im Mai 2019.


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Der verhängnisvolle Mai 2019 

Im Mai 2019 sollte das Schicksal noch einmal, diesmal noch viel schlimmer, zuschlagen. Anfang Mai bekam Thawee gesundheitliche Probleme und wurde daraufhin an einem Mittwoch von unserem Hausarzt ins Krankenhaus eingewiesen. In der Ambulanz/Aufnahme des Klinikum Lüdenscheid schickte man sie Stunden später mit den Worten „sie hat eine Infektion und muss viel Trinken“ wieder nach Hause. Bis zum folgenden Freitag verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand katastrophal, so dass sie der Arzt am Freitag erneut ins Krankenhaus einwies. Angesichts unserer Negativ-Erfahrung mit dem Klinikum Lüdenscheid zwei Tage zuvor haben wir uns diesmal (erstmals) für das Krankenhaus in Wipperfürth entschieden. Dort blieb sie bis zum Montagnachmittag. Dann kam sie nach Hause und ihr Gesundheitszustand hatte sich erst einmal deutlich verbessert.

Noch bis zum Freitag lief alles wieder ganz gut. Am Samstag fing es an, dass sie beim Essen Probleme bekam und kaum noch etwas zu sich nahm. Nur Flüssigkeiten konnte sie noch relativ problemlos zu sich nehmen. Sonntags verschlechterte sich ihr Zustand weiter und am Montag lag sie nur verkrampft und stocksteif im Bett. Zudem schien sie wie in einer Art Trance zu sein und war nicht mehr ansprechbar. Unser Hausarzt kam und machte sofort wieder eine Einweisung ins Krankenhaus fertig. Ein Krankenwagen zum Liegendtransport wurde angefordert.

Als dieser eintraf versuchten die Sanitäter Thawee wach zu bekommen, was nicht gelang. „So können wir sie im normalen Krankenwagen nicht mitnehmen“ sagten sie und orderten über Funk einen Rettungswagen nach. Dieser kam wenige Minuten später mit Blaulicht vorgefahren. Doch auch die Rettungssanitäter des RTWs konnten Thawee nicht wach bekommen und orderten über Funk nach knapp fünf Minuten vergeblicher versuche einen Notarzt nach. Dieser kam ebenso zügig nach wenigen Minuten mit Blaulicht vorgefahren. Dann begann ein einstündiges Bemühen im Schlafzimmer um meine Frau. Erst danach hatten sie Thawee soweit, dass sie in den RTW gebracht werden konnte. Der Notarzt diagnostizierte „eine beidseitige schwere Lungenentzündung mit Blutvergiftung“.

Auch im Rettungswagen bemühten sich der Notarzt und die Rettungssanitäter noch eine gute halbe Stunde, bis sie soweit transportfähig war, dass die Fahrt zum Krankenhaus losgehen konnte. Sie wurde dann kurz nach der Einlieferung dort auf die Intensivstation gebracht und in ein künstliches Koma versetzt. Die Diagnose der Ärzte fiel ganz und gar nicht vielversprechend aus, sondern war im Gegenteil ein gewaltiger Schock für uns: „Thawee kann nicht mehr schlucken. Aus diesem Grund ist die ganze Flüssigkeit anstatt in den Magen in die Lunge gelangt. Das hat dann die schwere beidseitige Lungenentzündung ausgelöst, in dessen Verlauf dann noch die Blutvergiftung hinzukam.“ Eine weitergehende Diagnose wollten die Ärzte zu diesem Zeitpunkt noch nicht stellen.


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Wie es danach weiterging 

Nach etwa einer Woche hat man dann Thawee langsam wieder wach werden lassen. Die katastrophale Diagnose: „Sie kann nicht mehr schlucken!“ Die einzige Möglichkeit, um regelmäßig weitere Lungenentzündungen in kurzen Abständen zu vermeiden und damit akute Lebensgefahr auszuschließen war zum einen der Einsatz einer Trachealkanüle und zum anderen der Einsatz einer Magensonde. Die Trachealkanüle war erforderlich, damit der Speichel, der sich im Mund bildet, nicht in die Lunge eingeatmet werden und so weitere Lungenentzündungen verursacht, die anderenfalls über kurz oder lang zum Tode geführt hätten. Und die Magensonde war erforderlich, da sie ja ohne zu Schlucken weder feste noch flüssige Nahrung aufnehmen kann.

 Nachdem uns die Ärzte zwar wenig, aber immerhin noch einen kleinen Funken Hoffnung gemacht haben, dass es sich wieder (zumindest halbwegs) bessern könnte, stimmten wir dem Einsatz der Trachealkanüle und der Magensonde zu. So bekam sie diese etwa zwei Wochen nach Einlieferung ins Klinikum Lüdenscheid dort eingesetzt. Sie lag dann noch etwa drei Wochen dort auf der Intensivstation, so dass sie nach ziemlich genau fünf Wochen in die Reha verlegt werden konnte.


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Zur Reha nach Hagen-Ambrock

Ca. Ende Juni / Anfang Juli 2019 – auf den Tag genau kann ich es nicht mehr sagen, da ich damals „zu viel im Kopf hatte“ um mich um Details zu kümmern – würde Thawee schließlich von der Intensivstation im Klinikum Lüdenscheid in die Reha der Helios Klinik in Hagen-Ambrock verlegt. Dort zuerst auf einer Intensivstation kam sie später auf eine normale Station. Fortschritte machte sie praktisch keine. Da sie nicht schlucken konnte und deswegen ja die Trachealkanüle eingesetzt bekommen hatte, bildete sich zuerst extrem viel Schleim, der permanent abgesaugt werden musste. Sie wurde regelmäßig logopädisch und ergotherapeutisch behandelt. Ein Erfolg stellte sich dennoch nicht ein. Die Ärzte nach den Aussichten einer eventuellen Besserung befragt, antworteten schulterzuckend mit: „Es gibt durchaus eine kleine Chance, dass sie wieder schlucken lernt. Danach können auch die Trachealkanüle und die Magensonde wieder entfernt werden und sie wird dann auch wieder normal essen können. Aber dafür müssen Sie sich auf einen langwierigen Prozess von mindestens einem halben bis ein Jahr einstellen.“

Doch, wie bereits erwähnt, stellte sich auch während Thawees Aufenthalt in Hagen-Ambrock keine Besserung ein, so dass Anfang August das Problem aufkam, dass sie aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte und deshalb nun ein Pflegeplatz für eine Intensiv- und Beatmungspflege gesucht werden musste. Vom Sozialdienst des Helios-Klinikums in Ambrock wurden mir dann zwei Einrichtungen vorgeschlagen: Die eine war bei uns im Nachbarort Kierspe und wurde von einem Hagener Pflegedienst betrieben und die zweite Möglichkeit war ein Pflegedienst aus Hemer, der eine solche Einrichtung in Hemer und in Balve betreibt. In Kierspe und in Hemer war zu diesem Zeitpunkt alles voll.


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Zur Intensiv- und Beatmungspflege nach Balve

In Balve waren gerade zwei Stellen der Intensiv- und Beatmungspflege frei. Und da die uns bisher vorliegenden Aussagen zu Balve recht positiv waren und der Gesundheitscampus Sauerland, in dem sich auch die „Wohngruppe Intensivpflege St. Marien“ befindet, auch im Internet einen passablen Eindruck machte, setzten wir uns mit der Pflegedienstleiterin des zuständigen Pflegedienstes „Intensiv Care Home Hemer GmbH“ in Verbindung und vereinbarten einen Besichtigungstermin. So fuhren wir kurz darauf nach Balve um uns die Einrichtung vor Ort anzusehen. Zwei Zimmer waren gerade frei geworden, da ein Patient verstorben war und der andere nach Hause entlassen werden konnte. Wir entschieden uns dann für das preislich etwas höher liegende Zimmer, das aber auch größer war und die bessere Aussicht ins Grüne hat.

Die Unterbringung erfolgt hier im System einer Wohngruppengemeinschaft. Dies bedeutet, dass die Zimmer von den Patienten gemietet werden müssen. Die Höhe der Miete für das Zimmer meiner Frau liegt pauschal bei knapp 444,80 Euro warm inkl. Nebenkosten und Strom. Hinzu kommt ein Betrag von 132,00 Euro für Hausmeister- und Reinigungskosten. Die Zimmer werden jeden Tag gereinigt. Die Pflege und Krankenversorgung übernehmen die Kranken- und die Pflegekasse. Meine Frau wurde inzwischen auch der Pflegegrad 5, also der höchste Grad, anerkannt. Da Balve nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Lüdenscheid ist, wurde das Betreuungsverfahren für mich an das Amtsgericht Menden überstellt. Unser Sohn Pornchai wurde inzwischen auch als Ersatzbetreuer vorgesehen, für den Fall, dass ich aus irgendeinem Grunde mal nicht in der Lage sein sollte die Betreuungsaufgaben wahrzunehmen (z. B. bei Krankheit).

Die Kosten für die Einrichtung (Miete, Serviceleistungen und Sonstiges wie Kleidung, Hygieneartikel, Medikamente, die nicht von der Krankenkasse bezahlt werden und Sonstiges) werden vom zuständigen Sozialamt in Balve in Form einer Grundsicherungsleistung übernommen, da Thawee dort ja praktisch einen eigenständigen Haushalt und keinerlei Einkünfte hat. Das Sozialamt zahlt den Mietpreis von 444,80 Euro und überweist dann einen Restbetrag in Höhe von 505,44 Euro auf unser Konto. Den Servicebetrag in Höhe von 132,00 Euro müssen wir dann noch überweisen. Allerdings zahlt die Pflegekasse einen zusätzlichen Wohngeldzuschuss von 214,00 Euro. 587,44 Euro bleiben dann noch für die andere Dinge außerhalb der Wohnkosten übrig. Es kann auch durchaus ein kleines Polster angespart werden, da die ehemals sehr ungerecht bemessenen Schonbeträge inzwischen auf 5.000,00 Euro pro Person aufgestockt wurden.


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Einzug in die Wohngruppe Intensivpflege St. Marien

Am 13. August 2019 war es dann soweit und Thawee wurde von Hagen-Ambrock in die Intensivpflege nach Balve verlegt. Dazu musste sie auch beim Meldeamt in Balve angemeldet werden. Vor allem auch durch den Einsatz der Trachealkanüle bedingt kann sie nicht mehr sprechen. Sie bekommt montags und donnerstags eine logopädische Behandlung und hat inzwischen ganz kleine Fortschritte gemacht, was das Schlucken anbelangt. Doch sind diese noch lange nicht so weit fortgeschritten, dass man hier auch nur von einem kleinen Erfolg sprechen könnte. Auch ergotherapeutisch bekommt sie Behandlungen, die allerdings derzeit noch so gut wie gar nicht von einer Erfolgsaussicht gekrönt sind. Im Gegenteil, die Gelenke werden immer steifer und sie ist heute so verspannt, dass es kaum möglich ist ihr die Arme anzuwinkeln.

Das Pflegepersonal ist durchweg sehr nett und pflichtbewusst. Besser hätte man es in dieser Beziehung nicht treffen können. Im Oktober 2019 wurde sogar ein kleines „Oktoberfest“ mit den Patienten und ihren Angehörigen im Gemeinschaftsraum ausgerichtet. Und im Dezember kam eine kleine Adventsfeier dazu. Ich besuchte sie mindestens zweimal in der Woche und blieb in der Regel für vier Stunden bei Ihr. An mindestens zwei Wochenenden im Monat besuchte sie unser Sohn zusätzlich und blieb anfangs auch schon mal über Nacht dort.


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Und dann kam auch noch Corona

Nachdem sich so langsam alles etwas eingespielt hatte, kam dann plötzlich die Corona-Hysterie. Ein scheinbar neuer Virus, über den es inzwischen zahlreiche Gerüchte gibt und zu dem man als Laie langsam nicht mehr weiß, was man davon halten soll, wurde schnell zur Pandemie hochgestuft. Die sogenannten Maßnahmen gegen Corona wurden ganz schnell nicht nur zu einem Debakel für die Wirtschaft, sondern auch für zahlreiche Familien. Angehörige in Heimen und Pflegeeinrichtungen durften auf staatliche Verordnung plötzlich über viele Wochen nicht mehr besucht werden. Das ging dann soweit, dass manche Heim- oder Pflegeeinrichtungsinsassen auf Staatsverordnung lieblos und einsam gestorben sind, wohl in dem Glauben von ihren Angehörigen abgeschrieben und verlassen worden zu sein.

Und genau dieses staatlich verordnete Besuchsverbot hat dann auch uns eiskalt erwischt. Über einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen konnten, richtiger durften wir, von Staats wegen diktatorisch diktiert, Thawee nicht mehr besuchen. Die Menschen wurden in ihren eigentlich zugesicherten Grundrechten ganz drastisch eingeschränkt. Was muss sie da wohl gedacht und gefühlt haben, konnte sie das mit der Corona-Hysterie wegen ihres Gesundheitszustandes doch gar nicht verstehen und erst recht nicht begreifen. Wie einsam und verlassen muss sich da meine ohnehin extrem getroffene Frau gefühlt haben? Verständlich, dass sie daher heute jedes Mal zu weinen anfängt, wenn wir nach dem Besuch wieder gehen.

Heute (23.09.2020) ist die Corona-Hysterie immer noch allgegenwärtig. Noch immer müssen wir uns telefonisch anmelden, wenn wir meine Frau besuchen. Bei jedem Besuch ist erst einmal Händedesinfektion und Fiebermessen angesagt. Zu letzterem wird in einem gewissen Abstand ein an eine Pistole erinnerndes Gerät vor die Stirn gehalten. Dann piept es ganz schnell und der Fieberwert wird angezeigt. Zeigt das Gerät den Wert 35,9 ⁰ ist es ja OK, denn bei dieser Messung, so sagte man mir, muss der Faktor eins hinzugerechnet werden. Daraus ergäbe sich dann der Wert von 36,9 ⁰ was einer normalen Körpertemperatur entspricht. Die halbe Zeit aber hatte ich schon extreme Untertemperatur, weil das Gerät nur einen Wert von um die 34 ⁰ oder weniger angezeigt hat. Irgendwie kommt man sich da doch extrem verschaukelt vor…

Hoffen wir, dass sich bald alles wieder zum Guten wendet, die Corona-Hysterie bald wieder vorbei ist und wir alle zum Alltag zurückkehren können. Und wir wünschen uns nichts mehr, als dass es Thawee wieder so weit besser geht, dass wir sie zurück nach Hause holen können…

 

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Der letzte Akt

 

Seit Mai 2021 ging es Thawee plötzlich schlechter und seit Juni 2021 war spätestens abzusehen, dass sich unser Wunsch nach Besserung und „zurück nach Hause“ leider (auch „dank“ der Corona-Pandemie) nicht mehr erfüllen würde. Sie war auf Drängen des Staates und Raten der Ärzte bereits vollständig geimpft (2 x Moderna). Ist es ein Zufall, dass es ihr kurze Zeit nach der zweiten Impfung immer schlechter ging?

 

Jedenfalls war sie von Mitte Mai 2021 bis Juli 2021 insgesamt mindestens sechsmal im Krankenhaus. Das erste Mal war die Paracelsus-Klinik in Hemer. Von dort wurden wir in der Pfingstvorwoche angerufen, dass wir doch sofort kommen sollten, da es ihr so schlecht gehe, dass sie wahrscheinlich noch in der Nacht sterben würde. Gemacht wurde bei diesem Krankenhausaufenthalt wenig bis gar nichts, obwohl bereits auch hier ein Magenproblem im Zusammenhang mit der Magensonde bekannt war. Am Freitag vor Pfingsten sagte man mir noch am Telefon, dass man eine Magenspiegelung machen wolle um das Problem zu erkennen. Dies könne aber erst nach Pfingsten gemacht werden. Am Tag nach Pfingsten wurde sie dann ohne weitere Untersuchungen entlassen.

 

Wenige Tage danach, am Samstag, wurde sie als Notfall vom Bereitschaftsarzt wegen Verdacht auf Darmverschluss erneut ins Krankenhaus gebracht. Diesmal nach Menden. Weil sie offensichtlich auf Einnahme von Abführmitteln abführte, wurde sie umgehend aus der Ambulanz wieder zurückgeschickt. Eine Woche später das gleiche Problem und wieder ins Krankenhaus. Diesmal war Lüdenscheid an der Reihe. Und obwohl man dort ebenfalls das Problem mit der Magensonde kannte, wurde auch hier erst einmal nichts daran gemacht. Zurück in die Intensivpflege nach Balve und Tage später erneut ins Krankenhaus nach Hemer. Nach kurzem Zwischenstopp in Balve wieder ins Krankenhaus Lüdenscheid, wo dann im Verlauf ihres Aufenthaltes eine neue Magensonde gesetzt wurde. In der Nacht von Samstag, dem 17. Juli auf Sonntag, den 18. Juli 2021 kam sie dann erneut als Notfall ins Krankenhaus – diesmal nach Plettenberg. Gegen 11.40 Uhr an jedem Sonntag erhielt ich dann den Anruf, der das ganze Drama dann beendete. Thawee war kurz zuvor, vermutlich an einer Magenblutung, verstorben.

 

Ich will die Verschwörungstheoretiker in Sachen Corona keinesfalls unterstützen, aber die ganze Sache im Zusammenhang so kurz nach den Impfungen, erscheint mir dann doch ein bisschen zu suspekt. Und so stelle ich mir immer wieder eine Frage: „Ist sie dann letzten Endes (frei nach der RKI-Zählung für die ‚Corona-Toten‘) an oder mit der Impfung verstorben?“

 

Und so mussten wir dann in tiefer Trauer, aber mit der Gewissheit, dass ihr Leiden jetzt ein Ende hat, von ihr Abschied nehmen. Dies taten wir, indem wir Thawees Wunsch erfüllten und am 22. Juli 2021 zum Abschied einen buddhistischen thailändischen Mönch für eine kleine Trauerzeremonie aus dem Wat Analayo in Windeck holten. Der sprach an ihrem offenen Sarg auf dem Friedhof entsprechende Gebete und danach bei uns zu Hause weitere, bevor er dann traditionsgemäß beköstigt wurde. Am Folgetag wurde sie ins Krematorium zur Einäscherung überführt, wie es im Buddhismus Brauch ist. Die Urne mit ihrer Asche wird – auf ihren Wunsch hin – nach Thailand gebracht, wo sie in Ihrem alten Zuhause, neben der Urne ihrer Mutter, aufbewahrt wird.

 

 


Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 25.08.2022 19:46:45 Uhr.

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